Mein Name ist Ellestran, und bevor Du fragst, in der Gegend, wo ich herkommen haben die wenigsten Leute einen Familiennamen. Ich stamme aus dem kleinen Dörfchen Eichenbruck, das vielleicht 30 Seelen zählt und in der Baronie Kranick in der Landgrafschat Gratenfels in den Nordmarken liegt. Mein Vater ist ein einfacher Holzfäller namens Jost, den in Eichenbruck alle nur den „Holzer-Jost“ nennen. Meine Mutter habe ich nie kennen gelernt, aber ich vermute, dass auf sie meine Begabung zurückzuführen ist.
Ebenfalls wählte sie meinen Namen, denn dieser ist in einfacher dörflicher Umgebung wohl eher ungewöhnlich ist. Es war in meinem achten Lebensjahr, dass meine Begabung offenbar wurde. Ich begleitete meinen Vater in den Wald, wo wir Holz schlagen wollten, als uns ein großer Waldschrat angriff. Mein Vater wurde mit wenigen Schlägen von dem riesigen Ungetüm nieder geprügelt und auch ich erhielt einen Schlag ins Gesicht, der mich weit zurückwarf und in dessen Folge ich mein linkes Auge verlor. Ich brüllte denWaldschrat an, er solle aufhören und dann spürte ich es: Die Kraft der Erde durchströmte meinen Körper und Geist und entfesselte etwas, derWaldschrat musste sich kurz darauf eines Sturms von Blättern und Zweigen erwehren und ließ uns auf der Lichtung allein. Mit aller Kraft, die ich als Achtjähriger aufbieten konnte, half ich meinem Vater nach Hause in unsere kleine Hütte zu kommen. Doch das Verhältnis zu meinem Vater war fortan nicht mehr das Gleiche, er sprach mit anderen Dörflern von seinem „Alfenkind“ wenn er glaubte, ich würde es nicht hören und brachte mir gegenüber weniger herzliche Gefühle zum Ausdruck. Heute weiß ich, dass er Angst hatte.
Vermutlich liegt es an dieser Angst und den ärmlichen Verhältnissen in denen wir lebten, dass mein Vater den Fremden namens Hagrian, der eines Tages an unserer Hütte klopfte und ihn nach seinem Sohn fragte nicht direkt verjagte. Hagrian bot meinem Vater 20 golden blitzende Dukaten, für „die verlorene Arbeitskraft“, wie er es ausdrückte, damit er mich mitnehmen und ausbilden durfte. Ich frage mich bis heute, woher Hagrian diese Geldmenge hatte, denn eigentlich lebt auch er in einer kleinen Hütte im tiefen Wald der Nordmarken. Mein Vater schlug ein und erzählte mir, dass Hagrian sich fortan um mich kümmern würde, da er es vermutlich besser könnte. Ich schätze heute, dass sich Vater und Hagrian irgend woher kannten.
Hagrian und ich waren zwei Tagesmärsche unterwegs, um zu seiner entlegenen Hütte zu kommen. Unterwegs trafen wir auf einen alten Bekannten von mir, den Waldschrat. Zunächst hatte ich Furcht vor einem erneuten Angriff, doch Hagrian stellte ihn mir als „Trogrol“ vor und erzählte mir, dass er nur versuche den Wald zu schützen, und dass mein Vater und ich seinerzeit in „geschützten“ Teilen des Waldes unser Handwerk betrieben hatten. Ich hatte die Gelegenheit, mich etwa zwei Stunden lang mit Trogrol zu unterhalten und er entschuldigte sich dafür, dass ich mein Auge verloren habe. Ich begann seine Sichtweise der Dinge zu verstehen, denn der Wald War seine Heimat und wir hatten diese bedroht.
In den nächsten Jahren sollte ich von Hagrian viel lernen, wobei die Kunst die Erdkraft von Sumus lebendiger Macht zu nutzen nur eines der Lehrziele darstellte. Diskussionen über die Harmonie der Elemente und das Gleichgewicht der Kräfte, das zu schützen uns, die wir Druiden genannt werden auferlegt ist, nahmen in Hagrians Augen einen viel größeren Stellenwert ein. Ich lernte vor allem Hagrians Weisheit und Gerechtigkeit zu schätzen, wobei er Gerechtigkeit nicht in dem Sinne verstand, wie es die Pfaffen des Götterfürsten verstehen, sondern als kosmisches Gleichgewicht, in dem jedes Leben seinen Stellenwert besitzt und nicht nur Menschen und Götter. Zudem warnte er mich vor den Städtern und den Geweihten, die unsere Ansichten oftmals nicht verstehen können, und in ihrer Furcht vor allem, was „anders“ ist durchaus Scheiterhaufen entfachen.
Ich gebe zu, anders als andere Personen meines Alters hatte ich nicht viele Freunde, wenn man von den Tieren des Waldes absieht, mit denen zu reden mich Hagrian ebenfalls gelehrt hatte. Ich lernte das Leben in seiner elementaren Ausprägung des Elements Humus zu formen und die Kräfte zu steuern, um das Gleichgewicht Sumus zu lenken und zu bewahren. Meine schwerste Prüfung war zu jener Zeit der Zuzug eines Magiers aus dem Osten in unseren heimischen Wald. Sepren Jolinow war sein Name und er rodete den Wald in einer Lichtung und ließ mit Magie einen Turm errichten.
Zunächst versuchte Hagrian mit diesem Gildenmagier zu verhandeln, um das Gleichgewicht der Kräfte zu wahren und die schädlichen Auswirkungen seiner magischen Experimente zu minimieren. Doch der ignorante und selbstbezogene Zauberer wollte sich nicht einschränken lassen und so kam es nach einigen Wochen zum Duell zwischen Hagrian, Sepren Jolinow und mir. Zum zweiten Mal in meinem Leben musste ich eine mir nahe stehende Person schwer verletzt in die heimatliche Hütte zurück tragen, doch wir hatten den Magier besiegt, nicht zuletzt dank des helfenden Eingriffs des Waldschrates Trogrol, der als letzte Handlung den Turm des Magiers einriss. Ich entdeckte einige Bücher, die ich meinen Meister übergab. Dieser verbrannte sie und berichtete mir davon, dass der Magier wohl ein Dämonologe gewesen sei. Mit den dämonischen Kräften beschäftigte ich mich nicht, denn Hagrian warne mich vor den Gefahren dieser Wesenheiten und ihrem schädlichen Einfluss auf alles, womit sie in Berührung kamen.
Meine Ausbildung war wohl damit beendet. Hagrian gab mir einige Silberstücke in die Hand – von denen ich immer noch nicht wusste, woher er diese hat – und gab mir den Ratschlag, ein wenig die Welt zu erkunden und zu lernen, damit ich irgendwann einmal zurückkehren und von meinen Erfahrungen berichten konnte. Dann wäre ich vielleicht bereit, meinen eigenen Hain im Wald zu hüten. Ich wäre aber jederzeit als Gast in Hagrians Haus willkommen. Meinen Vater suchte ich kurz auf, um ihm zu sagen dass es mir gut ginge. Er war alt und grau geworden im Laufe der Jahre, aber immer noch ein Bär von einem Mann. Seine Angst vor meinen Fähigkeiten ist nicht gewichen und er bat mich, sollte ich jemals meine Mutter treffen, so solle ich sie von ihm grüßen. Dieses war das erste Mal, dass er mir gegenüber ihren Namen erwähnte: Amadis.
Nun reise ich durch das Land, versuche zu lernen und zu verstehen, und vielleicht werde ich Amadis finden, die mich zur Welt brachte und vielleicht dadurch meinen Werdegang etwas besser verstehen.